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StartLokallust HalternAusgabe MärzIm Winter als Nachtwächterin, im Sommer als Marie von der Mühlenporte

Im Winter als Nachtwächterin, im Sommer als Marie von der Mühlenporte

Wie man zur Stadtführerin wird – und was man dabei lernen kann.

von Beate Mertmann

Zu diesem Job bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Freund Paul, der Nachtwächter, bekam von jetzt auf gleich „’nen Ramm in’n Been“ – Laufen oder gar Stehen: unmöglich. Zu allem Übel reiste an diesem Tag ein ganzer Bus voller Besucher an, die bei der Stadtagentur gebucht hatten, durch die Seestadt Haltern geführt und dabei locker-flockig unterhalten zu werden. Keiner der bewährten Nachtwächter-Kollegen konnte einspringen. Bus stoppen? Ging nicht. „Du kannst das!“, entschied Freund Paul, stemmte sich zu einer Schnell-Schulung hoch – und bei Einbruch der Dunkelheit ging es los.

Nachtwächter Paul am Varus-Denkmal. Foto: privat

Wohl war mir nicht dabei, und das lag nicht nur an Pauls zu langem Mantel und dem Hut, der nur auf meinen Ohren auflag. „Zum Glück kommen die Gäste von weit her, die wissen bestimmt nicht mehr von der Stadt als du“, beruhigte ich mich.

„Können Sie das am Freitag noch einmal machen?“

Zwei Tage später rief die Stadtagentur an. „Die Busladung will ihr Geld zurück“, dachte ich. Doch nichts davon! Die Organisatoren aus dem hohen Norden hätten sogar extra angerufen und sich für die „sehr lustige und interessante Führung“ bedankt, erfuhr ich. Schon kam die Frage: „Können Sie das am Freitag noch einmal machen?“

Also: Einmal im Notfall auszuhelfen, war ja okay. Es hatte sogar Spaß gemacht. Doch dabei sollte es auch bleiben. „Freitag ist wieder ein Notfall“, erklärte die „Stadtagentin“ am Telefon. Diesmal sei es eine Gruppe Halterner. „Müssen es gleich Halterner sein?“ – „Notfälle kann man sich nicht aussuchen“, bekam ich zur Antwort.

Besuchergruppe mit Nachtwächterin. Foto: privat

Als ich am Freitag allerdings sehe, dass es gar Halteraner sind (also Menschen, die mindestens in dritter Generation im Innenstadtkern geboren wurden), die mich da vor dem Alten Rathaus erwarten, wird mir doch mulmig. Die kennen doch hier alles – vermutlich besser als ich! Ich komme aus Sythen, das zwar schon Jahrhunderte früher als Haltern erstmals urkundlich erwähnt wurde, aber erst seit 1975 ein Ortsteil von Haltern ist.

Wohl war ich fast 20 Jahre Redaktionsleiterin der WAZ Haltern und habe mich beruflich wie privat für die Stadt und ihre Bewohner interessiert, aber ob das für eine Führung von Halteranern reicht?

Zum Glück wollen auch sie beim Bummel durch die Stadt Geschichten erzählt bekommen, tragen gut gelaunt selbst etwas dazu bei, dass es für uns alle ein schöner, interessanter Abend wird.

Besucher aus nah und fern

Die nächsten Gruppen kommen aus allen Ortsteilen Halterns, aber auch aus Berlin und Bayern, aus dem Münsterland und von der Mosel, aus Köln, Reken, Recklinghausen und und und. Selbst die Tanzgarde eines Karnevalvereins aus Monheim ist dabei und bedankt sich mit einer Einlage auf dem Marktplatz. Noch immer hieß es am Ende: „Nach Haltern kommen wir auf jeden Fall wieder“, oder aber: „Ab jetzt gehen wir mit anderen Augen durch die Stadt.“

Kiepenkerle Paul (li.) und Hermann. Foto: privat

Einmal hatte sich ein junges Paar aus Freiburg spontan einer öffentlichen Stadtführung angeschlossen. Beide hatten in Münster Arbeitsstellen bekommen und waren auf der Suche nach einem neuen Wohnort im Umfeld. Wie aus einem Mund erklärten sie hinterher: „Haltern ist toll, hier wollen wir leben!“

„Sie mögen Ihre Stadt wohl sehr gerne“, sagte eine Frau, als sie sich für die Führung bedankte. Darüber musste ich erst einmal nachdenken. Dann wurde mir klar: Die Frau hat recht! Wie oft schon habe ich gehadert mit dieser und jener Entwicklung oder Entscheidung, habe im Freundeskreis geschimpft, in Zeitungskommentaren heftig kritisiert – aber ja: Ich liebe diese Stadt!

Als Nachtwächterin am Marktbrunnen. Foto: privat

Sie ist so prall voller Geschichte und Geschichten und Eigentümlichkeiten, sie ist interessant – und sehr lebendig! Und je öfter ich davon erzähle, desto bewusster wird mir: Irgendwie ist alles schon einmal dagewesen – gute Zeiten, schlechte Zeiten, Unterstützung der Obrigkeit wie Aufbegehren dagegen, Hochzeiten der religiösen Gläubigkeit wie Klagen der Kirche über abtrünnig gewordene Seelen, Wunder, Wunderbares und Wunderliches, Schlimmes und Schönes, Lausiges, Lustiges und Lasterhaftes.

Vor allem aber gab (und gibt) es Menschen, die den Mut und die Kraft hatten, etwas zu gestalten, etwas zu verändern, etwas durchzustehen – die dafür sorgten, dass es weiterging. Die Gemeinsinn vor Eigennutz stellten, die Schönes schufen, die den Schwächeren halfen und/oder die ihre Mitmenschen (wieder) zum Lachen brachten.

Kurz: die, die die Stadt so lebens- und liebenswert werden ließen, wie sie ist. Und hoffentlich immer so bleibt.

Informationen zu den Führungen

Die Nachtwächter-Saison ist Ende März zu Ende gegangen. Die Stadtagentur Haltern am See bietet diese wieder ab Oktober an. Von April bis Ende September schlüpfen die Stadtführer in andere Rollen, zum Beispiel in die der Kiepenkerle, als Charlotte von der Post oder Marie von der Mühlenporte.

Charlotte von der Post. Foto: privat

Es gibt öffentliche Stadtführungen, zu denen man sich auch als Einzelperson anmelden kann. Gruppen (bis 25 Personen) – Familien, Freundeskreise, Vereine, Nachbarschaften etc. –bevorzugen meist eigene Führungen zu Themen ihrer Wahl. Denn neben dem klassischen Altstadt-Rundgang sind bei „Gucken & Schlucken“, „Tee-Time“ oder „Tortenglück“ Abstecher in verschiedene Gastro-Betriebe buchbar. Obendrein sind Führungen mit dem Fahrrad auch außerhalb des Innenstadtkerns im Angebot, unter anderem mit Einkehr-Angebot „Westfälisch genießen“. Und Vieles mehr. Mehr Informationen unter www.haltern-am-See.de oder in der Stadtagentur im Alten Rathaus, Markt 1, Tel. 02364/933-365/-366

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